Armut im Rot-Rot-Grünen Koalitionsvertrag für Berlin

Die Berliner*innen haben am 18. September bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus für unsere Stadt einen Aufbruch ermöglicht. SPD, die LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wollen diese Chance für Berlin nutzen. Wir haben fast auf den Tag genau sechs Wochen lang verhandeln und können sagen: Die intensiven Verhandlungen haben sich gelohnt. Gerechtigkeit, Toleranz, Solidarität, ökologische Verantwortung und Fortschritt werden den Kompass für unsere gemeinsame Politik in den nächsten fünf Jahren bilden. Vieles geht nicht einfach von heute auf morgen. Aber wir haben den Anspruch auf eine gute Regierung, die ihre gefassten Pläne verlässlich umsetzt.

Welche zentralen Projekte hinsichtlich der Bekämpfung von Armut in Berlin finden sich im Koalitionsvertrag? Ich habe hier einige aus meiner Sicht wichtige Punkte aufgelistet.

  • Attraktive Lehr- und Lernorte für die Stadt: Das Erleben von Partizipation und Selbstwirksamkeit sind Schlüsselerfahrungen in einer Demokratie. Deshalb wird die Koalition partizipative Strukturen und die politische Bildung stärken. Die Koalition wird die Schulen zu guten Lehr- und Lernorten entwickeln und die notwendigen Sanierungen und Neubauten realisieren. Die Koalition wird die Eigenverantwortung der Berliner Schulen weiter stärken und die Arbeitsbedingungen für alle dort Tätigen verbessern. (S. 12)
  • Soziale Wohnraumversorgung sichern: Die Koalition sieht in der sozialen Wohnraumversorgung, in der Bekämpfung von Wohnungslosigkeit und sozialer Ausgrenzung eine Schlüsselaufgabe. Sie will die zunehmende Verdrängung verhindern und den sozialen Zusammenhalt in Berlin stärken. (S. 20) […] Als Sofortmaßnahmen werden die Mieterhöhungsmöglichkeiten für Bestandsmietverträge für vier Jahre auf maximal zwei Prozent jährlich beschränkt. (S. 24)
  • Die Koalition will erreichen, dass auch Transferleistungsbeziehende in Genossenschaften aufgenommen werden können, und gewährleistet die Übernahme der Genossenschaftsanteile durch die Jobcenter. (S. 29)
  • Die Koalition wird einen Stadtentwicklungsplan Soziale Infrastruktur aufstellen und die Bezirke dabei unterstützen, die Sozialen Infrastrukturkonzepte (SIKO) in integrierte Bereichsentwicklungsplanungen zu überführen. (S. 32)
  • Soziale Stadt: Alle Senatsressorts und die Bezirksämter unterstützen die gemeinsame Strategie Soziale Stadt, die konkrete Maßnahmen und Förderbudgets für QM-Gebiete umfasst. Quartiersräte sollen weiterhin gemeinsam mit Politik und Verwaltung über Projektideen und Fördermittel im Programm „Soziale Stadt“ mitentscheiden. (S. 33)
  • Die Koalition wird die Sozialraumorientierung in den Bezirken und das Quartiersmanagement noch besser miteinander verknüpfen und neue Quartiersmanagementgebiete festlegen. Bei der Entlassung von Quartiersmanagementgebieten wird geprüft, welche Projekte in die Regelfinanzierung übernommen werden. (S. 33)
  • Vergabepolitik innovativ, effektiv und fair: Die Vergabepolitik wird dem Grundsatz „öffentliches Geld nur für gute Arbeit“ folgen. (S. 58)
  • Um Energiearmut zu vermeiden und die Anzahl der Strom- und Gassperren zu verringern, wird die Koalition die Energiesparberatung ausbauen, einkommensschwache Haushalte bei der Anschaffung energiesparender Haushaltsgeräte stärker unterstützen, über Vereinbarungen mit den Grundversorgern und Netzbetreibern die Einhaltung der Härtefallregelungen sicherstellen sowie über freiwillige Einverständniserklärungen zur Information der Sozialämter und Jobcenter durch den Grundversorger ein frühzeitiges Eingreifen und damit die Abwendung der Stromsperre ermöglichen. (S. 64)
  • Öffentlichen Dienst zum Vorbild machen: Den Öffentlichen Dienst wird die Koalition zum Vorbild für gute Arbeit machen. Die Entlohnung für Lehrkräfte an Volkshochschulen und Musikschulen wird die Koalition erhöhen und prüfen, wie eine bessere soziale Absicherung sichergestellt werden kann. Dafür werden bei dauerhaftem Tätigkeitsbedarf Honorarverträge in Arbeitsverträge umgewandelt, mit einem Zwischenziel von mindestens 20 Prozent Festangestellten bis 2021. Für arbeitnehmerähnliche Beschäftigte will die Koalition eine tarifvertragliche Regelung abschließen. (S.92)
  • Die Koalition wird im Rahmen der Wirtschaftsförderung geringfügige Beschäftigungsverhältnisse und sachgrundlose Befristung von Arbeitsverhältnissen begrenzen. Darüber hinaus wird die Koalition die Umwandlung von Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung über den Ausbau der Kampagne „Warum Minijob? – Mach mehr draus!“ fördern. (S. 92)
  • Um Soloselbstständige besser abzusichern und den Übergang in eine abgesicherte Arbeit zu erleichtern, wird die Koalition Bundesratsinitiativen für einen verbesserten Kranken- und Rentenversicherungsschutz initiieren. (S. 92)
  • Ebenso will die Koalition eine Bundesratsinitiative für die Abschaffung der Ausnahmetatbestände im Mindestlohngesetz und für eine effektivere Bekämpfung der Umgehung des Mindestlohnes starten. (S. 92)
  • Die Koalition wird sich auf Bundesebene dafür einsetzen, dass gesetzliche Voraussetzungen für die erfolgreiche Integration Langzeiterwerbsloser in den ersten Arbeitsmarkt geschaffen werden und Arbeit statt Erwerbslosigkeit finanziert werden kann, unter anderem durch Bundesratsinitiativen zum Passiv-Aktiv-Transfer und eine Ausweitung der Förderung auf fünf Jahre. (S. 93)
  • Bestehende arbeitsmarktpolitische Instrumente werden hinsichtlich ihrer Wirksamkeit evaluiert. (S. 93)
  • Die Beratungsstelle für Berliner*innen mit Migrationshintergrund bzw. für entsandte Beschäftigte und das Berliner Arbeitslosenzentrum als unabhängige Beratungsstelle für Erwerbslose wird die Koalition absichern. Die Koalition unterstützt die Einrichtung von Ombudsstellen in den Jobcentern bzw. Bezirken. (S. 93)
  • Die Koalition startet eine Bundesratsinitiative zur Überprüfung der Sanktionen für Erwerbslose im AsylbLG und dem SGB II und will unter anderem die Begrenzung des Regelbedarfs auf 80 Prozent für unter 25-jährige Leistungsbeziehende bei einem Umzug ohne Zusicherung abschaffen. (S. 93)
  • Um die hohe Zahl von Vertragsauflösungen bei Auszubildenden in Berlin zu senken, wird die Koalition die Einrichtung unabhängiger und anonym zugänglicher Ausbildungsberatungsstellen prüfen. (S. 94)
  • Die Koalition wird für die Arbeit der Jugendberufsagentur den Bezirken ausreichende finanzielle und personelle Ressourcen zur Verfügung stellen. Die Jugendberufsagentur soll auch für junge Menschen aus dem Fallmanagement der Jobcenter zugänglich sein. In Zukunft wird die Koalition bezirksübergreifende Angebote der aufsuchenden Beratung im Rahmen der Jugendberufsagentur aufbauen. Dazu könnte eine mobile Jugendberufsagentur als weitere Einrichtung eingesetzt werden. (S. 94)
  • Die Koalition wird eine ressortübergreifende Strategie zur Bekämpfung von Armut und zur Verbesserung gesellschaftlicher Teilhabe mit konkreten Maßnahmen auf den Weg bringen. Voraussetzung hierfür ist eine integrierte Armuts- und Sozialberichterstattung. (S. 95)
  • Mit dem berlinpass können Menschen, die auf Transferleistungen angewiesen sind, vergünstigte Angebote im Kultur- und Freizeitbereich nutzen und das Berlin-Ticket S erhalten. Die Koalition will die Ausgabe und Verlängerung des berlinpasses erleichtern und entbürokratisieren. (S. 96)
  • Darüber hinaus wird die Koalition im Bundesrat Initiativen für die Anhebung des Kinderzuschlages und der SGB-II-Leistungen entwickeln. Sie setzt sich langfristig für eine allgemeine und bedarfsdeckende Kindergrundsicherung ein. (S. 96)
  • Soziale Infrastruktur ausbauen: Die Finanzierung unabhängiger Sozialberatung in den Bezirken als Erstanlaufstelle mit Beratung und Unterstützung für Menschen in Notlagen wird landesseitig gesichert. (S. 96)
  • Armutsbekämpfung im Sozialraum: Aktive Nachbarschaften, lebendige Kieze und stabile Sozialstrukturen sind eine Voraussetzung für Demokratie und Teilhabe. Die Koalition steht deshalb für den örtlich ausgewogenen Ausbau von Stadtteilzentren sowie deren inklusive und kultursensible Weiterentwicklung. In einem ersten Schritt erfolgt eine Bestandsaufnahme der sozialräumlichen Angebote in Berlin. In Prognoseräumen mit niedrigem Sozialstatusindex wird mit Stadtteilmanager*innen die fach- und ressortübergreifende Arbeit unter Bündelung der Ressourcen des Landes, der Bezirke, der Jobcenter sowie der sozialen Infrastruktur gestärkt. Die Koalition stärkt hierfür die zentrale Koordinierung der Sozialraumorientierung. (S. 96)
  • Stadtteilmütter ausweiten: Die Koalition wird zunächst das Landesrahmenprogramm Integrationslots*innen und Stadtteilmütter über die öffentlich geförderte Beschäftigung stärken. Das Erfolgsmodell Stadtteilmütter wird für weitere Zielgruppen und Bezirke geöffnet. (S.96)
  • Die Koalition sichert die flächendeckende Einführung des Berliner Sozialhilfeportals zur IT-gestützten Optimierung und Standardisierung von Arbeitsabläufen in den Sozialämtern ab 2018 sowie den Probebetrieb ab dem Jahr 2017. (S. 96)
  • AV Wohnen: Die Koalition entwickelt die AV Wohnen mit dem Ziel weiter, vielen Menschen den Verbleib in ihren Wohnungen zu ermöglichen und realistische Richtwerte bei der Neuanmietung von Wohnraum abzubilden. Die Koalition verlängert den bis zum 31. Dezember 2016 befristeten Neuanmietungszuschlag (Punkt 3.4. AV) bis zu einer Überarbeitung der AV Wohnen. Die neue AV Wohnen tritt spätestens zum 1. Januar 2018 in Kraft. Dabei wird die Höhe des Neuanmietungszuschlags überprüft. Die Koalition wird bei der Berechnung der Richtwerte die mittleren Wohnlagen und alle Wohnungsgrößen – gewichtet nach ihrem Anteil am Berliner Wohnungsmarkt – einbeziehen. (S. 97)
  • Die Koalition wird die Leitlinien der Wohnungslosenpolitik gemeinsam mit den Bezirken, den LIGAVerbänden der freien Wohlfahrtspflege und anderen Akteuren der Wohnungslosenhilfe weiterentwickeln und ab 2017 schrittweise umsetzen. Sie wird ein umfassendes Konzept zur Prävention von Wohnraumverlust erarbeiten und eine Wohnungslosenstatistik einführen. In Zusammenarbeit mit den Trägern der Wohnungslosenhilfe und den Berliner Bezirken strebt die Koalition mindestens 1.000 Plätze in der Kältehilfe, insbesondere auch für Frauen, an. (S. 97)
  • Kinderarmut bekämpfen: Es wird eine Landeskommission zur Bekämpfung der Kinderarmut unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft gebildet und eine Stabsstelle zur Steuerung der ressortübergreifenden Arbeit bei der für Jugend zuständigen Senatsverwaltung eingesetzt. Die Koalition setzt sich für weitere Maßnahmen ein, die alle Familien entlasten und unabhängig vom Nachweis der Bedürftigkeit sind. (S. 109)
  • Gute medizinische Versorgung in der ganzen Stadt: Die ärztliche und psychotherapeutische Versorgung ist in allen Bezirken bedarfsgerecht zu sichern. Dazu sind die Sozialdaten der Bezirke sowie weitere Faktoren wie z.B. Erreichbarkeit und Barrierefreiheit von Praxen zu beachten. […] Die Koalition wird ihre Aufsicht über die Einhaltung des Sicherstellungsauftrags durch die Kassenärztliche Vereinigung Berlin (KV) konsequent ausüben, auch für den ärztlichen Notdienst. (S. 160)